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Verschmelzung17.01.2008
(Bericht von www.german-foreign-policy.com) - Die künftige Afghanistan-Kampftruppe der Bundeswehr wird ab dem Spätsommer auf Lagebilder des kompletten Spionage-Satellitensystems SAR-Lupe zurückgreifen können. Dies geht aus Berichten hervor, denen zufolge im August der letzte Satellit des Verbundes mit russischen Raketen ins Weltall transportiert werden soll.
Damit ist die Bundesrepublik der einzige europäische Staat, der ein eigenes weltraumbasiertes Radar-Spionagesystem am Hindukusch nutzen kann. Bis zu sechsmal am Tag werden dann der deutschen Kampftruppe, deren baldige Entsendung hochrangige Militärs bestätigen, aktuelle Aufnahmen mit präzisen Informationen über feindliche Aktivitäten aus dem unmittelbaren Kriegsgebiet geliefert. Das System ist auch bei Dunkelheit und schlechten Witterungsbedingungen uneingeschränkt funktionsfähig. Mit der Stationierung des letzten SAR-Lupe-Satelliten geht eine fast zehnjährige Vorbereitungsphase zu Ende; sie macht Berlin von US-Spionagesatelliten unabhängig. Davon profitiert ebenfalls der Auslandsgeheimdienst BND, der seit diesem Monat offiziell die "Aufklärung" in den Einsatzgebieten der Bundeswehr monopolisiert. Die Kooperation von BND und Bundeswehr bei der Satellitenspionage verdeutlicht beispielhaft die zunehmende Verschmelzung von Auslandsgeheimdienst und Militär.
Weltall-Club
Die Bundeswehr will noch im Laufe des Spätsommers den Aufbau ihres neuen Satellitensystems SAR-Lupe zur strategischen Aufklärung aus dem Weltraum abschließen. Seit November 2007 kreist der dritte Satellit im Orbit; er ist wie die anderen beiden mit Hilfe von Kosmos-Trägerraketen vom nordrussischen Plesetsk aus ins All transportiert worden - im Rahmen der "Weltraumpartnerschaft" mit Russland.[1] Bis August sollen zwei weitere Aufklärungssatelliten folgen; spätestens am Jahresende wird das gesamte von der Bremer OHB-System AG im Auftrag der Bundeswehr konstruierte System vollständig einsatzbereit sein. "Auch wir sind dann endgültig im internationalen Weltall-Club", freuen sich deutsche Militärs.[2]
Weltweit unabhängig
Der Kommandeur des Kommandos Strategische Aufklärung der Bundeswehr, Brigadegeneral Friedrich Wilhelm Kriesel, erklärt stolz, er sei sich sicher, mit den Radar-Satelliten technisch an der "Weltspitze" zu stehen.[3] Mit den Fähigkeiten von SAR-Lupe eröffne sich der Bundeswehr eine "neue Dimension", betont der stellvertretende Generalinspekteur Johann-Georg Dora: Neben den USA und Russland verfügten jetzt auch die deutschen Streitkräfte als einzige europäische Armee über ein solches System im All. Mit dem Satellitenbündel könne die Bundeswehr in Zukunft in eigener Regie "exklusiv und weltweit unabhängig Daten ermitteln", unterstreicht der General.[4]
Kampfeinsatz
Das Satellitensystem soll mit seiner Aufklärung insbesondere die zunehmenden Auslandsinterventionen der Bundeswehr unterstützen. Erster Testfall für die Satellitenspionage unmittelbar für einen Kampfeinsatz wird das afghanische Kriegsgebiet sein; dorthin will die Bundesregierung in Kürze eine Schnelle Eingreiftruppe ("Quick Reaction Force") entsenden. "Es ist sicher, dass wir diese Aufgabe übernehmen", sagt der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes, Bernhard Gertz.[5] Das SAR-Lupe-System entspricht den Anforderungen der Truppe: Die (ab August) fünf in rund 500 Kilometern Höhe kreisenden Satelliten werden zeitnah bei Tag und Nacht sowie bei jedem Wetter gestochen scharfe Radarbilder von jedem Winkel der Erde liefern. Darauf können sogar Gegenstände, die kleiner als 80 Zentimeter sind, identifiziert werden. Dies ermöglicht zuverlässige Erkenntnisse etwa über die Bewegungen afghanischer Aufständischer und über ihre Bewaffnung.
Amtshilfe
Von dieser Technik werden auch weitere staatliche Behörden profitieren - unter anderem die Polizei. Es verstehe sich "von selbst, dass SAR-LUPE national auch ressortübergreifend genutzt wird", hieß es bereits im Jahr 2002.[6] "Selbstverständlich" dürften andere Ministerien im Zuge der "Amtshilfe" das Verteidigungsressort um Radarbilder bitten, erklärte kürzlich Aufklärungs-Kommandeur Kriesel: "Und dem werden wir uns natürlich nicht verschließen."[7] Kriesel will keine Gefahr einer illegalen Vermischung von Militär- und Polizeiaufgaben erkennen können. Das Aufklärungssystem, das erklärtermaßen Bewegungen feindlicher Soldaten aufzeichnen soll, sei völlig ungeeignet, etwa politische Großveranstaltungen wie Demonstrationszüge zu beobachten: Die Radarstrahlen reflektierten Lebewesen nur schlecht und ließen Menschen auf den SAR-Lupe Bildern daher fast nicht erkennen.
Zugriff
Regelmäßigen und organisatorisch festgelegten Zugang zu dem neuen Spionagesystem hat bereits der deutsche Auslandsgeheimdienst BND (Bundesnachrichtendienst). Nach jahrelangem Kompetenzgerangel - in den Streitkräften gab es starke Bestrebungen, einen eigenen Militärgeheimdienst aufzubauen - behielt der BND das Monopol für die geheimdienstliche Ausspähung in sämtlichen Weltgegenden.[8] Die vorher eigenständige Auslandsaufklärung der Bundeswehr wurde abgewickelt, das dafür zuständige Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr (Gelsdorf bei Bonn) zum Jahresende 2007 aufgelöst. Die Spionage in den Einsatzgebieten der deutschen Soldaten ist seitdem die alleinige Aufgabe des BND. Der Auslandsgeheimdienst habe auch die "Lagebearbeitung für Einsätze" und damit ausdrücklich Aufgaben für die Bundeswehr übernommen, berichtet Brigadegeneral Kriesel; um die "Lagebearbeitung" erledigen zu können, benötige er den ungehinderten Zugriff auf das SAR-Lupe-System.[9]
Zusammenwachsen
Die Kooperation beim Einsatz des Satellitensystems SAR-Lupe wird von Experten als "Beispiel für das Zusammenwachsen von Bundeswehr und Geheimdiensten" gehandelt. Im Zuge der Auflösung des Zentrums für Nachrichtenwesen der deutschen Armee werden dem BND rund 280 militärische Dienstposten übertragen; die Zahl der militärischen Planstellen in der Auslandsspionage erhöht sich damit auf 860. Während einerseits der BND im Kompetenzgerangel die Oberhand gewonnen habe, werde andererseits die Zahl der Soldaten im BND stark vermehrt - und damit auch der militärische Einfluss im formal zivilen Nachrichtendienst, heißt es in der deutschen Presse.[10] Dabei gehen Beobachter bereits jetzt davon aus, dass bis zu einem Sechstel der BND-Planstellen mit aktiven oder ehemaligen Soldaten besetzt sind.
Feindlage
Mit dem "Zusammenwachsen" mit dem Militär nähert sich der deutsche Auslandsgeheimdienst immer stärker dem Arbeitsbereich seiner historischen Wurzeln. Ursprung des BND war die Organisation Gehlen (benannt nach ihrem Gründer, dem ehemaligen Generalmajor der Wehrmacht Reinhard Gehlen), die nach 1945 von den US-amerikanischen Besatzungsbehörden gebildet wurde. Sie bestand selbst aus früheren Mitarbeitern der Abteilung "Fremde Heere Ost" des einstigen deutschen Generalstabs, die in den damaligen Kriegsgebieten für die Bewertung der "Feindlage" zuständig gewesen waren - durch die Beschaffung und Auswertung von Nachrichten. In der Organisation Gehlen wurden vorwiegend frühere SS-, SD- und Gestapo-Offiziere tätig, darunter etliche Veteranen aus Eichmanns "Judenreferat". Noch 1970 waren zwischen 25 und 30 Prozent der Beschäftigten des BND ehemalige Angehörige dieser Organisationen.[11]
[1] s. dazu Weltraumspionage
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/5016
und Gestartet http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56676
[2] "Wir sind im Weltall-Club"; www.linie1-magazin.de 05.01.2008
[3] Aufklärung aus dem All; www.dradio.de 09.01.2008
[4] "Wir sind im Weltall-Club"; www.linie1-magazin.de 05.01.2008
[5] Deutsche könnten Kampftruppe in Afghanistan stellen; Reuters 16.01.2008
[6] Neuorientierung des Militärischen Nachrichtenwesens der Bundeswehr; Europäische Sicherheit 10/2002
[7] Aufklärung mit dem Radar-Satelliten SAR-Lupe - Beispiel für das Zusammenwachsen von Bundeswehr und Geheimdiensten?; Streitkräfte und Strategien 12.01.2008, www.ndrinfo.de
[8] s. dazu Fortschreitender Zusammenschluss http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/55820
und Lobbyarbeit
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56589
[9] Aufklärung mit dem Radar-Satelliten SAR-Lupe - Beispiel für das Zusammenwachsen von Bundeswehr und Geheimdiensten?; Streitkräfte und Strategien 12.01.2008, www.ndrinfo.de
[10] Der BND und das Militär: Willkommene Amtshilfe, geneidete Kompetenz; www.faz.net 28.06.2007
[11] s. dazu Skrupellos http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56393
Quelle des Textes:
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57129
Mehr Informationen: http://www.german-foreign-policy.com
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